Erinnerungen
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Erinnerungen an den Paradiesverein
Wie es früher im Wirtshaus zum Kreuz im Paradies zuging, schrieb Heinrich Wanner olim Bölle vor einiger Zeit nieder. Er trug diese Geschichte anlässlich seines Vortrags 1994 in der Bude vor.
Die Gartenwirtschaft des Restaurants zum Kreuz im Paradies war zur Sommerzeit ein vielgeliebtes Ausflugsziel. Am Rheinufer gelegen konnten dort Pontioniere, Weidlingsfahrer und Paddler ihre Fahrzeuge anlegen, und die Fähre zum Büsinger Ufer ermöglichte den Wanderlustigen den Spaziergang auf beiden Rheinseiten. Frau Emmy Beyerle, eine populäre Persönlichkeit, prägte ihre bodenständige Gastwirtschaft. Für Tanzfreudige liess sie unter den schattigen Bäumen ein Rundell betonieren und kaufte eine Serie Grammophonplatten, die über eine Lautsprecheranlage die entsprechende Musik spendeten.
Die Verwirklichung dieses Vorhabens hatte aber einen rechtlichen Haken; denn Tanzanlässe, die nicht in einem geschlossenen Kreis, sonder öffentlich veranstaltet wurden, bedurften einer Bewilligung der zuständigen Behörde. Nun gründeten am 19. Juni 1941 einige Stammgäste, Weidlingsfahrer, die von Schaffhausen regelmässig mindestens ins Paradies stachelten, den Paradiesverein mit dem Zweck, an schönen Sommertagen im Restaurant zum Kreuz Tanzanlässe durchzuführen.
Die Statuten des Paradiesvereins waren gemäss Art. 60 ff. ZGB kurz, bündig und originell. Mitglied werden konnte jeder Besucher der Gartenwirtschaft mit unterschriftlichem Eintrag in der Mitgliederliste, gleichzeitiger Anerkennung der Statuten und Entrichtung des Jahresbeitrages von Fr. 1.–. Schon im Gründungsjahr erreichte der Verein über tausend Mitglieder. Der Vorstand sorgte für die Tanzmusik, meistens mit Grammophonplatten, ausnahmsweise mit Engagement der Jägermusik. Er verkündete ab und zu Damenwahl, und er hatte «tribunizische Gewalt»: Ein pöbelndes oder betrunkenes Mitglied konnte von einem anwesenden Vorstandsmitglied von der Veranstaltung weggewiesen werden. Diese Sicherheitsmassnahme kam glücklicherweise nie zur Anwendung. Nach Schluss der Saison fand im Spätherbst die Generalversammlung statt, an der fast nur die Mitglieder des ehrenamtlichen Vorstandes teilnahmen. Haupttraktanden war die Verteilung der Jahres-einnahmen durch Vergaben an wohltätige Institutionen, Winterhilfe, Kleinkinderschule etc. Es war jeweils ein gemütliches Beisammensein anlässlich einer Metzgete, zu der uns Frau Beyerle freundlicherweise einlud.
Überraschenderweise wurde Frau Emma Beyerle als Wirtin zum Kreuz, in Alt-Paradies/Schlatt am 24. September 1941 bezirksamtlich mit Fr. 100.– gebüsst wegen Übertretung des Thurgauischen Wirtschaftsgesetzes. Ihr wurde die Durchführung öffentlicher Tanzanlässe ohne behördliche Bewilligung vorgeworfen und die Gründung des Paradiesvereins als Versuch einer Gesetzesumgehung bezeichnet. Selbstverständlich verlangte die gebüsste Frau Beyerle eine gerichtliche Beurteilung. Dies geschah mit Eingabe vom 4. Oktober 1941. Das Bezirksgericht fand nach erklärter Vollständigkeit der Akten die Beklagte als unschuldig, hob die angefochtene Polizeibusse auf und belastete den Staat mit den Verfahrenskosten von Fr. 33.– (!). Der Freispruch wurde im ausführlichen «Urteilsrezess» vom 1. November 1941 eingehend begründet. Auszugsweise und verkürzt zitieren wir die fünf Betrachtungen des Bezirksgerichtes:
- Eine Umgehung des Gesetzes … könnte nur … bejaht werden, wenn bewiesen wäre, dass der «Paradiesverein» als blosses Mittel zum Zweck zwar vorgeschoben und genannt wird, in Wirklichkeit aber überhaupt nicht existiert oder erst post festum rein pro forma nachgegründet worden wäre.
- Demgegenüber muss jedoch … konstatiert werden, dass hier immerhin schon seit dem 19. Juni 1941 ein richtiger Verein im Sinne von Art. 60 ff. Z.G.B. bestanden hatte, mit Statuten, die dem geselligen Vereinszweck entsprechend wieder den gesetzlichen Vorschriften genügen, sodass jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt den Vereinsgründern … der Vorwurf eines dolosen Handelns kaum wird gemacht werden können.
- Trifft dies indes für diese Personen zu, dann darf doch auch der Wirtin, wo dieser Verein seine geselligen Anlässe abhält, «auf Ausflügen» oder als «geschlossene Gesellschaft», deswegen erst recht nichts nachgetragen werden, umso weniger dann, wenn sie selber von jeher auf eine seriöse und korrekte Wirtschaftsführung hielt, wie dies alle drei Mitglieder der Gerichtskommission wissen. Es ist auch bekannt, dass an solchen Vereinsabenden der «Paradieser» die Veranstaltungen insofern abgegrenzt waren, als sich nur diejenigen am Tanze beteiligen konnten, welche Mitglieder dieses Vereins waren, also auch insofern eine geschlossene Gesellschaft vorhanden war…
- Wenn daher unter den beschriebenen Verumständungen die Wirtin das Tanzen duldete und hiefür vielleicht sogar noch besondere Vorkehrungen traf, so tat sie dies mit Recht unter Berufung auf die Ausnahme-Vorschrift in lit. b von § 33 leg. cit., und sie hat dies ihrerseits umso unbedenklicher tun dürfen, als Anhaltspunkte für einen Rechtsmiss-brauch vis à vis dem Verein nicht bestanden, ganz abgesehen davon, dass sie den Persönlichkeiten an der Vereinsspitze und ihrem Rechtsgefühl ohnehin volles Vertrauen entgegenbringen zu dürfen glaubte.
- Eine gegenteilige Beurteilung des Verhaltens der Wirtin erschiene mindestens … solange unangebracht, als nicht vorausgehend (mit Warnung) die angezweifelte Vereinsbildung in aller Form als eine unreelle Fiktion deklariert und damit die Idee «namhafter Schaffhauser Juristen», auf die sich Frau Beyerle sichtlich verlassen hatte, widerlegt ist… Ganz allgemein sei übrigens noch beigefügt, dass die Befürchtung der Polizeiorgane, als ob man durch eine Aufhebung fraglicher Busse Gefahr laufe, dass andere Wirte ähnliches inszenieren, unbegründet ist… Denn nicht mit jedem Ausflugsort oder gar mit jeder Wirtschaft ist das Bedürfnis einer fröhlichen Geselligkeit – unter gleichzeitiger Wahrung des Anstandes – so stark ausgeprägt, dass es dadurch zu einer Vereinsgründung und damit zu einer Tanz-Erleichterung kommen würde; wenn das in Paradies zutraf, so hängt dies zweifellos mit jenem einzig schönen Uferplatz am Rhein zusammen, der namentlich den Sommer über von Schaffhausen her als beliebtes Reiseziel – zu Wasser und zu Land – ausersehen ist und deshalb auch mit gutem Geschmack zum Vereinsmittelpunkt gewählt wurde. Einer solchen Bestrebung ohne Not in den Weg zu treten (eine moderne Vertreibung aus dem Paradies) rechtfertigt sich selbst in unserer sachlichen Kriegszeit nicht…
Heinrich Wanner
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Weidling ahoi!
SN 26. April 1963
In Schaffhausen geht der Klabautermann um. Deswegen braucht aber die Tante Mathilde kein Sicherheitsschloss an der Tür anbringen zu lassen; der Kobold ist von der harmlosen Art und klopft ohnehin nur bei jenen an, die irgendein Schiff auszubessern haben. Mit dem Kalfathammer pocht er nach alter, niederländischer Seemannssage den Schiffszimmermann aus dem Schlaf: «Auf, kalfatere dein Boot!» Das heisst, der aufmerksame Geist hat schadhafte Stellen daran entdeckt und heisst sie auszubessern oder eben zu kalfatern.
Und nun macht sich also der Weidlingsbesitzer Kari mit seinem Freund schleunigst mit Werkzeug und Schiffspech auf zu seinem Kahn, der den Winter im «Trockendock» auf dem Stapel liegend verbracht hat. Wahrhaftig, der Klabautermann hat recht: der Weidling ist leck, an mehreren Stellen vor Trockenheit geborsten, er «lechzt nach Wasser», und da sind gar Planken teile morsch! Jetzt geht’s an ein Ausbeiteln, Zusägen, Nageln, Klammern einschlagen dass die Späne fliegen. Und mit den Spänen fliegen die Spässe hin und wider — der Klabautermann lässt die neckische Seite seines Wesens erscheinen. Nun werden die Fugen verpicht, Nummer und Name neu gemalt, dem Stachel wird an einer schwachen Stelle eine Halsbinde aus Blech umgelegt. Die Zimmerleute ahnen ältestes Menschheitserleben beim Werk am Urfahrzeug des Menschen. Weisen doch schon die Worte «kalfatern» und «Weidling» in frühgeschichtliche Zeiten zurück. Beim seetüchtigen Volk der Araber bedeutete «kalfat» das Erdpech, mit dem die Schiffe dichtgemacht wurden; im Handelsverkehr übernahmen die Italiener das Wort und gaben es in allgemeinerer Bedeutung als Zeitwort «ausbessern» den nicht minder seegewohnten Holländern weiter. Der «weidlinc» ist 1314 erstmals bezeugt, als Fahrzeug aber viel älter. Das mittelhochdeutsche «weiden», jagen, steckt darin; ein Nachen zum Fischfang war er ursprünglich. Einzig der alemannische Südwesten hat das schöne Wort bewahrt, wobei es manchenorts auch eine breite, flache Schüssel bedeuten kann.
Der Kari und sein Freund ahnen von all dem, wenn sie mit liebevollem Blick die etwas ungeschlachte Form ihres Nachens erfassen, die so sehr dem Stromliniengeist unserer Zeit widerspricht wie die zärtlichen Silben des Wortes Weidling einer Automarkenbezeichnung, wie zum Beispiel VW 1500 in ihrer ökonomisch-technischen Rudität.
Nie wird der Autobesitzer, der sein Gefährt mit Johnson-Wax poliert, die untergründigen Gefühlsströme verspüren, die der Handwerker am Weidling erlebt.
Und erst wenn an mildem Frühlingstag der Kahn vom Stapel läuft, kiesknirschend, wasserrauschend, mit breiter Brust dem Strom entgegen, dann jauchzt das Herz der Schiffer: «Weidling ahoi!» Der Stachel setzt im Kiesgrund ein, und das Boot gleitet sanft dem Ufer nach aufwärts. Bald ist der Rhythmus gefunden: Stoss, Nachziehn, Stoss, Nachziehn — geradezu homerisches Versmass! Jetzt nimmt der Ferge die Parade der Pappeln ab, die ihn zum «Paradiesli» geleiten, dem der Volksmund mit sicherem Instinkt den Diminutiv verliehen hat, eingedenk der harmlosen Freuden, die nach sommerlichen Land- und Wasserstrapazen der Hungrigdurstige dort geniesst.
Stoss, Nachziehn, Stoss, Nachziehn — an Schilf und frischem Weidengrün vorbei den dunkelbelaubten Eichen, den Leichttürmen des Scharen entgegen, dem Kap Verde des Rheins. Mit dumpfem Knirschen, dem tiefen Knurren des breitstirnigen Neufundländers ähnlich, läuft der Vorderteil auf. Der Mitfahrer springt mit rasselnder Kette ans Ufer. Geräusche, die den Weidlingfahrer zutiefst entzücken, weil sie zahllose flutglitzernde Sommertage wieder aufsteigen lassen.
Nach gehöriger Rast kommt die ersehnte Talfahrt. Ein kräftiger Stoss am Heck, das Ruder ausgelegt, ein paar Schläge, und die Strömung treibt den Kahn nach Backbord herum; das heisst, eigentlich nach Steuerbord, denn beim Weidling ist die Sache anders: bei den alten Schiffen war das Steuer auf der rechten Seite, und der Steuermann kehrte der linken eine bestimmte Backe zu — honni soit qui mal y pense! — die jener den Namen gab. Der Weidling hat sein Ruder, das ja zugleich Steuer ist, linksseits, also ist da Steuerbord. Und nun treiben Strom und Nachen gemach miteinander dahin. Auf dem Heckkasten liegend, grüsst der Schiffer in die gleitende, dunkelgrüne Tiefe und erneuert die Bekanntschaft, ja Verwandtschaft mit dem Vater Rhein. Mag dies nach 19. Jahrhundert tönen, mag das 20. Jahrhundert darüber lächeln: Frage dich, lieber weidlingfahrender Leser, der du vielleicht schon in der Adria, der Nordsee und im Lago di Trasimeno gebadet und an der Westküste Frankreichs getaucht hast, frage dein Innerstes, wie war es dort? — Es war ein vergnügliches Spiel in den Wellen, angenehme Erfrischung, erregende Neuheit. Und wie ist dir, wenn du im Rhein schwimmst? — Du fühlst dich getragen, umfangen, geborgen, gibst dich hin und empfindest dich zeitweise ganz eins mit der gelassen treibenden Flut. Dies Eins-Gefühl, was ist es anderes als Verwandtschaft, und wie willst du den lieben Strom anders benennen denn Vater? Etwa Cousin oder Onkel?
Mit sanftem Wellenschlag liebkost der Fluss die Planken des Weidlings wie ein geliebtes Kind. Er hat ja, wie der Kahn auch, seinen Namen aus urdenklichen Zeiten bewahrt, dies erratische Keltenwort «Rhein». Und der lind gewiegte Schiffer versinkt in Kindheitsträume des Menschen und möchte ein Brentano heissen, um die Worte zu finden für das dämmernde Gefühl.
Da tauchen um den Rank der Munot, der Münsterturm auf, und das Ruder wird nötig, um den Kurs auf den Anlegeplatz festzuhalten. Schaffhausen — althochdeutsch «scafa» oder «scaf», Schiff oder Schaf? Mögen sich die Philologen und Historiker noch lange an den Haaren nehmen, der Weidlingfahrer hat das Problem aus Erfahrung gelöst.
Und wenn die Tage wärmer, die Nächte linder werden, dann werden der Kari und sein Freund mit einem Lampion ausgerüstet abends ausfahren. Die mythischen Tiefen solchen Erlebens auszuloten, dazu jedoch bedürfte es der Seherkraft des Dichters. W. S.
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Familienabend der Kantonsschulverbindung «Munot»
SN 19. Januar 1963
Lieber Logos,
Wie tröste ich Dich darüber hinweg, dass Du dieses Jahr nicht mit dabei sein, nicht Dein rotweissgrünes Band überstreifen und durch den knirschenden Schnee ins festliche Schaffhauser Casino huschen konntest? Muss ich nicht, armer Verhinderter, fürchten, eine Schilderung werde Dir erst recht bewusst machen, was Du verpasst hast! Aber es gibt ja so eine Philosophie, die vom Leben behauptet, es setze sich ohnehin aus lauter verpassten Gelegenheiten zusammen. Sei dem wie ihm wolle, Worte des Bedauerns tragen nicht viel ab, und drum lasse mich trotz allem mit einigen Strichen Dir den Verlauf des diesjährigen «Munot-Familienabends» nachskizzieren.
Das war nun wie immer: gleich bunten Schmetterlingen schlüpfte draussen im Foyer die junge und bestandene Weiblichkeit aus der winterlichen Verpuppung; hier ordnete eine AH-Dame ihre Frisur, dort streifte ein Backfisch die schwerfällige Fussbekleidung ab, um sie durch ein Paar leichte Tanzschühlein zu ersetzen. Das Interesse der Ehemaligen aber wandte sich der «Ahnengalerie» zu, das heisst einem Verbindungs-Stammbaum mit allen seinen durch, die Jahresläufe getriebenen Zweigen. Hier warst Du wenigstens mit Deinem Zunamen dabei, — ach, frage nur nicht, was alles sonst für Gesichter in der Erinnerung erweckt wurden!
Aber es ist Zeit, Dich in den Saal zu lotsen, wo vorerst jetzt die vorbereiteten Hör- und Sehenswürdigkeiten über die Bühne gingen. Spiel fürs Auge, Spiel fürs Ohr hielten einander wieder einmal hübsch die Waage. Eine heitere Szene von Anton Tschechov machte den Anfang, eines jener Stücke, worin der Dichter seinen russischen Landadel so unvergleichlich brillant aufs Korn nimmt und soviel Allgemein-Menschliches einbezieht, dass es, klassenlose Gesellschaft hin oder her, heute noch gilt. Man spürte den drei Darstellern die Lust an der Sache an, sie waren mit aller Vehemenz in ihren Rollen, und Du hättest Dich sicherlich ebenso amüsiert wie wir alle. Zur schönen Besinnlichkeit, aber heiter auf ihre Weise, führten die Musiksätze von Telemann und Johann Christian Bach. Es wurde Bestes gegeben und mit Dank quittiert, gemäss der lockeren Freudigkeit, welche hauptsächlich vom Allegro di molto des Klavierkonzertes ausstrahlte. Du weisst, über Musik verbreite ich mich ungern in vielen Worten und schütte womöglich damit den freundlichen Eindruck zu.
Was noch? Also «Von den bösen Folgen des Tabaks» hätte leicht als ein aktuell-medizinisches Thema in Anschlag gebracht werden können, zumal hier in Schaffhausen, aber da stand ja abermals der Name Tschechov dabei. Und so war es denn auch eher ein tragikomischer Monolog, den man in differenzierter Darstellung durch einen jungen AH vorgesetzt bekam. Den guten Beschluss bildete die Sinfonietta-Conversation von Jean Tardieu, an die Du Dich vielleicht erinnern magst als an eine zeitgemässe Parodie, welche den kultivierten Unsinn auf freiem Tummelfeld zeigt. Uebrigens war die Darbietung höchst geschliffen und pointiert, wie es der Beifall merken liess.
Mit Namen will ich Dich nicht behelligen. Ohnehin ist so ein Programm, wie Du von unseren Zeiten her weisst, ein Gemeinschaftswerk, und da steht nun einmal der eine stärker, der andere weniger deutlich im Rampenlicht. Und — wie hast Du doch gerne zitiert — es seien «Talente», die sich alle noch in der Stille zu bilden haben», nicht wahr? Einzig den Aktivitas-Präsidenten, Rudolf Schmid, will ich nennen, der seinen Begrüssungssermon in jenen trockenen Humor kleidete, der an jungen Leuten einfach sympathisch wirkt.
Im Übrigen folgte dann der Dir sattsam bekannte Stuhlwechsel zu den Tischen und, nach dieser Sedimentation, bald einmal die Kantusrunde. Der Ball, dirigiert durch «The College Stompers», nahm seinen turbulenten Anfang und verschlang in seinem Sog oft auch ergraute oder gelichtete Häupter. Dass am Wettbewerb das Glück vorab den Damen lachte, ging sehr in Ordnung. Die Herren mochten sich dafür in der auf Kosmonautik dekorierten Bar schadlos halten. Du natürlich hättest Deinen Hauptspass an der originell aufgezogenen Schnitzelbank von den braven Füxlein gefunden, sintemal Du selbst einst das Brävste gewesen bist.Und nun, auf dem Punkt, wo man leicht ins Sentimentale zu kippen droht, will ich mich zügeln. Was Dir dieses Jahr verwehrt blieb, behalte dem nächsten vor, und, sei es wie es wolle, es wird schön, wird vergnüglich und von heiteren Erinnerungen vergoldet sein! F. S.
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Nächtliche Komödie im November 1962
SN Freitag, 30. November 1962
Nächtliche Komödie — Kostenpunkt 70 Franken
Folgende Geschichte spielte sich am letzten Dienstag ab. Zeit: Kurz vor Mitternacht, Ort: an der Säntisstrasse in Schaffhausen.
Ein Auto wird am Strassenrand parkiert. In kurzem Abstand folgt ein Mopedfahrer. Auch er bremst und stellt sein Moped auf das Trottoir. Unter einer Strassenlaterne wird das weitere Vorgehen diskutiert. Ab und zu ist ein unterdrücktes Lachen hörbar. Sieben Mitglieder der Abstinentenverbindung «Munot» rüsten sich zu einem Ständchen. Die Schwierigkeit angesichts eines doppelten Mehrfamilienhauses besteht in der richtigen Wahl des Ortes, von wo aus der Gesang steigen soll. Detektiven gleich suchen die Leute deshalb, das richtige Fenster herauszufinden, denn es soll selbstverständlich auf den ersten Anhieb gelingen. Doch erweist sich dieses Problem als äusserst knifflig, aber…
Aber plötzlich erscheint eine Gestalt, barfuss und im Nachthemd, die später als Stadtpolizist Lohrer erkannt wurde. In einer längeren Diskussion, während welcher der Polizist unter anderem auf die drohende Erkältungsgefahr aufmerksam gemacht wird, zeigt dieser auch sein Können im Erteilen von Ohrfeigen. Die «Nachtbuben» wissen nicht, wer er ist und was ihnen droht. Wer hätte es sich auch ausmalen können, dass bereits das Ueberfallkommando auf dem Wege ist? Durch zwei Patrouillen wird das ganze Gebiet sozusagen hermetisch abgeriegelt – die eine schliesst den Zugang in die Fischerhäusern, die andere denjenigen zur Säntisstrasse ab. Polizist Lohrer, barfuss und im Nachthemd, hat den Burschen das Ultimatum gestellt, innert fünf Minuten zu verschwinden.
Noch immer vollkommen ahnungslos werden sie an der Säntisstrasse von einem Polizisten in Empfang genommen. Und schon braust der Ueberfallwagen daher. In den Wagen hinein – sie werden abgeführt. Allmählich bekommen sie auch eine Ahnung der unerhörten Tragweite ihres Falles. (Die Worte, die sie dann auf dem Posten von sich gaben, hätten sie ruhig für eine bessere Gelegenheit aufsparen können.) Einen Polizisten zu wecken – amtlich nennt man das «krasse Nachtruhestörung» – ist Grund genug, an Stelle einer Verwarnung eine saftige Busse aufgebrummt zu bekommen. Kostenpunkt für alle sieben: 70 Franken! Dass die Polizei aber auch (ein wenig) Einsicht walten lassen kann, bewies sie zwei Tage später: Das «krass» wurde gestrichen und die Busse um die Hälfte reduziert. Vulgo
Aus dem Kantusprügel von Kess

Die «Nachtruhestörer»:
Flint x
Teddy xxxx
Samba FM
Ahab BW
Gliss EFB
+ 2 Fuxen:
Juan
Kess
Total5.–
5.–
5.–
5.–
5.–
5.–
5.–
35.–Für eine Taxifahrt von der Säntisstrasse zur Polizeiwache!!
SN Samstag, 1. Dezember 1962
Zur «Nächtlichen Komödie»
Es ist gut begreiflich, dass der in seiner sicher wohlverdienten Nachtruhe gestörte Polizist aufgebracht war, wenn seine Reaktion auch etwas ungewohnt war. Aber wahrscheinlich sind ihm die jungen Leute auch nicht sonderlich höflich begegnet. Warum müssen eigentlich unsere Studenten immer n a c h Mitternacht mit ihren Ständchen kommen, wenn die meisten Mitbürger bereits im ersten Schlafe liegen? Nicht jeder kann dann sofort wieder einschlafen, und am Morgen erwartet ihn wieder seine Aufgabe, die vollen Einsatz erfordert. Nichts gegen die Ständchen, wohl aber gegen die Zeit, während welcher sie gebracht werden. Wie wäre es nun, wenn sich die Herren Studenten dazu verstehen könnten, prinzipiell nicht nach 10 Uhr abends zu ständeln? Dann kämen die jungen Leute trotzdem zu ihrem Vergnügen und würden dabei nicht nur keine Mitbürger verärgern, sondern sogar noch sich selber nützen. Denn auch sie haben den Schlaf nötig, wenn sie anderntags wieder frisch und ausgeruht in der Schule den Stoff verarbeiten wollen, den es zu bewältigen gilt. ast
SN Dienstag, 4. Dezember 1962
O, Ihr glücklichen Schaffhauser!
Da macht Ihr so eine «Affäre» wegen eines missglückten Studentenständchens! Zugegeben: es wäre ja schöner, wenn diese Leute ihrer Verehrten etwa um 22 Uhr statt erst nach Mitternacht Ihre Lieder darbrächten. Dann hätten sie auch eine zahlreichere und dankbare Zuhörerschaft, denn schön singen können sie ja, diese Musensöhne.
Wenn Ihr aber glaubt, wegen so etwas klagen zu müssen, so müsst Ihr einmal nach Neuhausen kommen, wo recht oft, gewöhnlich in der Nacht vom Freitag/Samstag, auch erst nach Mitternacht auf der Poststrasse ein Gegröhle ist, das man auf keinen Fall mehr Gesang nennen kann. Von solchem Lärm gestört zu werden, ist schon weniger erfreulich. Da sind eben diese Krakeeler sicher, dass sie von keinem Uniformierten gestört werden. Hier täte Abhilfe not.
Es ist noch ein anderer, sehr neuralgischer Punkt, auch gar nicht weit vom Polizeiposten entfernt. Es wäre wohl nötig, dass die Polizei verstärkt würde, damit auch des nachts hie und da einer ausrücken und für etwas mehr Ruhe sorgen könnte. Die LoreleyAus dem Kantusprügel von Kess
Hier glaubten wir, einen Schlussstrich unter die Affäre ziehen zu können… glaubten wir… Nicht so aber die Wohnbaugenossenschaft Säntisstrasse… Sie erstattete nämlich Strafanzeige wegen
Hausfriedensbruch!SN Samstag, 15. Dezember 1962
Der «nächtlichen Komödie» zweiter Teil
Vor einigen Tagen — in einer Leserzuschrift «Nächtliche Komödie» wurde darüber berichtet — trugen sich ein paar Mitglieder der Abstinentenverbindung «Munot» mit der Absicht, vor einem Haus an der Säntisstrasse ein Ständchen darzubringen. Zeit der Handlung: zwischen 23 und 24 Uhr. Noch bevor der Gesang steigen konnte, erschien der pflichteifrige Hauswart, Stadtpolizist L., auf der Szene und wies die Burschen aus dem Garten, wobei es sogar einige Ohrfeigen abgesetzt haben soll. Auf der Strasse wurden die Studenten von der Stadtpolizei abgefasst, und auf den Posten transportiert und mit einer Busse belegt. Wie wir nun erfahren, hat die Wohnbaugenossenschaft Säntisstrasse, die Besitzerin der Liegenschaft, auch noch Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet. In freier Würdigung des Falles möchten wir sagen, dass uns diese Inanspruchnahme der Justiz als reichlich überflüssig vorkommt — offenbar gibt es aber Leute, die keine Anstrengung scheuen, um sich lächerlich zu machen, und die vergessen zu haben scheinen, dass auch sie einmal jung gewesen sind. H. B.
Aus dem Kantusprügel von Kess
Da für Hausfriedensbruch die Kantonspolizei zuständig ist, mussten wir am 07.12.1962 noch dort vorsprechen.
Kantonspolizist Stocker wollte wissen, wie unsere Mütter geheissen hatten, als sie noch nicht unsere Mütter waren, ebenso, wo wir geboren worden seien!
Sein Versuch, aus uns herauszuquetschen, wie wir in jenen Garten gekommen waren, schlug gänzlich fehl!! – das ist ja auch schwierig zu erraten!!
Die Fortsetzung dieses spannenden Tatsachenberichtes folgt demnächst!?
Leider ist die Geschichte hier zu Ende, da die Anklage zurückgewiesen (oder zurückgezogen?) wurde.Zusammengestellt von Kess im Februar 2022
Quellen:
- Archiv Schaffhauser Nachrichten
- Kantusprügel von Kess
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Fuxenstreich 1962: Erkereinweihung am Fronwagplatz
SN Samstag, 30. Juni 1962

Veranstaltungen
Ein neuer Erker wird eingeweiht
(Mitg.) Noch wird es von einem Tuch umhüllt, dieses grosse Werk einiger junger Schaffhauser. Und wer hätte noch gestern gedacht, dass unsere Stadt auf dieses Wochenende um einen neuen Erker reicher werde! Das Geheimnis dieser überaus schnellen Bauweise liegt in einer völlig neuartigen Konstruktionsart. Während früher bei derartigen Bauten immer ein ganzes Gerüst notwendig war, so ist dies heute dank einer durchdachten Rationalisierung und Normierung der einzelnen Bestandteile nicht mehr nötig. Das sind die Gründe, weshalb sozusagen über Nacht auf dem Fronwagplatz am Hause «Zum schwarzen Rössli» ein neuer, prachtvoller Erker entstand. Die «Freunde unserer Erkerstadt» möchten es nun nicht versäumen, in einer schlichten Feier allen Mitarbeitern für diesen Erker ihren Dank auszusprechen und gleichzeitig dieses Bauwerk einzuweihen. Die öffentliche Einweihungsfeier beginnt heute Nachmittag um 14.30 Uhr auf dem Fronwagplatz. Die ganze Schaffhauser Bevölkerung sei zu diesem Anlass herzlich eingeladen. K. Sch.
SN Dienstag, 3. Juli 1962
Aufblasbare Erker zur Verschönerung des Stadtbildes? der Redner: Bonus


Volksauflauf am Samstagnachmittag auf dem Fronwagplatz! Warum der Lautsprecherwagen, warum der Polizist, der den ratlosen Automobilisten den Weg durch die Menge weisen musste? Was war geschehen oder was sollte geschehen? Da erinnerte sich jemand, in der Zeitung eine Notiz gelesen zu haben, und bald ging es von Mund zu Mund: Ein Erker sollte enthüllt und eingeweiht werden, der über Nacht am Hause der Bäckerei Ermatinger angebracht worden war. Natürlich, da war auch schon die Kommission, vermutlich die Altstadtkommission, lauter würdige Herren in schwarzem Gewand, Cutaway oder so, Melone, Schnauz und sämtliches Zubehör. Und oben an der Fassade verbarg sich vielversprechend das neue Gebilde unter dem grauen Tuch. Nun war man im Bild, nun konnte die Sache beginnen.
Und wirklich, das Tuch wurde heruntergezogen, der Erker kam zum Vorschein, eine moderne Konstruktion und doch ins Stadtbild passend, fein und leicht hing er da, wo vorher ein gewöhnliches Fenster gewesen war. Es gab dem Haus auch gleich einen neuen Namen: «Zum frischen Ei», in schönen Buchstaben, mit Liebe gemalt, was ausserordentlich gut getroffen war. Und einer der würdigen Herren trat aufs Podium vors Mikrophon. «In einem bedeutungsvollen, historischen Moment», sagte er, «stehen wir in andächtiger Verzückung vor diesem Erker. Schaffhauserinnen, Schaffhauser, der Ausdruck unserer Gesichter widerspiegelt unsere sittliche und kulturelle Grösse.» Durch die Reihen der Zuhörer lief bei diesen Worten ein lautes Gemurmel der Zustimmung. So gewählt, so richtig war ihnen noch kein Redner gekommen!
«Wiederum ist es gelungen», fuhr der Herr mit der schwarzen Melone fort, «mit dem Erker dem Altstadtbild ein verschönerndes Element beizufügen. Es wurde etwas Neues geschaffen, das dennoch altmodisch genug ist, um der heiligen Architektur zu entsprechen.» Als sie solches hörte, geriet die Menge in Bewegung Pressephotographen schwirrten umher, wo waren die Leute vom Radio, vom Fernseher und von der Filmwochenschau?
Aber der Herr am Mikrophon liess sich nicht stören. In feierlichem Ton, wie man ihn vor Bundesrat Ph. Etter noch in Erinnerung hat, riet er den Schaffhauser Bauherren und Architekten, bei allen Hausabbrüchen das neue Gebäude jeweils hinter der alten Fassade aufzurichten, «bis diese von selbst zusammenfällt damit sich die Fremden in unserer Stadt noch möglichst lange der Illusion von Stukkatur-Gipsdecken und antiken Täfelungen hingeben können. Auch wäre in Betracht zu ziehen, das Autosilo mit kleinen Erkern für Kabinenroller zu versehen, wobei das Nützliche mit dem Schönen verbunden würde. Die Neuerung würde sowohl die blaue Zone als auch die charmanten Polizistinnen entlasten.»
Eine besondere Zierde, meinte der Mann zum Schluss, wäre ein passender Erker am Obertorturm, von wo aus die kommende Lichtsignalanlage gesteuert werden könnte. Desgleichen forderte er, das Autobushäuschen in der Nähe sei endlich dem Altstadtbild anzupassen. «In Anbetracht der vielen Fremden scheint auch die Idee gar nicht abwegig, an Sonn- und allgemeinen Feiertagen zusätzliche, aufblasbare Gummierker mit Naturtönung an exponierten Stellen anzubringen. Das Eidgenössische Militärdepartement hat seinerseits jedenfalls dafür bereits grosses Interesse bekundet, da diese Erker sich im Kriegsfalle als Gummiboote verwenden liessen.»
Ob der Neuartigkeit der Vorschläge waren die Zuschauer eine ganze Weile stumm vor Staunen, so dass sie wohl die studentische Schlussformel des Redners «Vivat, crescat, floreat!» überhörten. Der Bann löste sich erst, als der Herr sein Manuskript einsteckte, ein Taxi herbeiwinkte und mit seiner Begleitung von dannen fuhr, freundlich nach allen Seiten grüssend und winkend. Ein paar Stunden später zeigte der Fronwagplatz wieder sein gewöhnliches Gesicht. Der Erker «Zum frischen Ei» war verschwunden. Schwamm er schon auf dem Rhein?
Dafür wussten sich die Passanten auf dem Platz unter der Hand mitzuteilen, dass ein gewisser Architekt die heitere Kundgebung der Studenten durch die Polizei zu verhindern versucht hätte, obwohl diese zuerst ihr Einverständnis gegeben habe. Wir kennen den Namen des Architekten nicht, wissen auch nicht, ob im Gerede ein Körnchen Wahrheit vorhanden sei. Dagegen wüssten wir dann, falls wahr, genau zu sagen, was der Architekt damit erreicht hätte: Er hätte sich im mittleren bis grösseren Ausmass blamiert! Die Studenten erwiesen sich jedenfalls als die Pfiffigen. Vivant, crescant, floreant! H. B.

Redner Bonus, Architekt Duke
Cheer, Spit und GueuleBabar
Bref
Longa

Pressefotografen
Din und Juan
der Architekt Duke und zwei Herren vom Komitee:
Cheer und BrefCheer, Spit, Duke, ???
BrefZusammengestellt von Kess im März 2022
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Fuxenstreich 1961: Ein Studenten-Ulk
Schaffhauser Nachrichten, Mittwoch, 5. Juli 1961
Wer sich regelmässig in unserer Stadt tummelt, ist sich schon an einiges gewöhnt. Am vorletzten Samstag jedoch stutzten wir, als ein Trauerzug in stiller Verhaltenheit sich durch die Strassen bewegte. Eine Gruppe zerknirschter Jünglinge in Frack und Zylinder, die ein Modell der Schleitheimer Bahn einhertragen? Da erinnerten wir uns auch eines Inserates mit der erschreckenden Ankündigung, unser Bähnli werde zu Grabe getragen. Und so war es. Schweigend versammelte sich eine riesige Trauergemeinde im Mosergarten, um von der StSS Abschied zu nehmen. Eine von Ergriffenheit getragene Trauerrede erinnerte an Leiden und Freuden ihres ach so langen Daseins. Musikalische Darbietungen unterstrichen den betont feierlichen Rahmen des Anlasses. Dann bewegte sich das Geleite zur letzten Ruhestätte, dem Rhein. Mit unwiederbringlicher Grandezza wurde das Kartongebilde versenkt. – Karton? – Bald wird dieser symbolischen Handlung einer Studentenverbindung die Abdankung der wirklichen Bahn folgen. Dann aber ohne Frack und Zylinder! P. B.



